Dienstag, 28. Mai 2013

Die Kids

"Die Kids" oder "die Kiddies" sind Begriffe, die gerade in den letzten Wochen stark geprägt wurden.
Damit gemeint sind die Kinder, die in der Klasse für Kinder mit besonderen Bedürfnissen betreut werden.
Seit einigen Wochen arbeiten Camilla und ich auch dort. Da ich ja meine 6. Klasse abgegeben habe, verbringe ich die Vormittage jetzt dort, abgesehen von den Stunden, die ich in der regulären 5. Klasse unterrichte.
Auf dem gemeinsamen Schulgelände der beiden Grundschulen, an denen Camilla und ich unterrichten, steht ein extra Gebäude für die Kiddies. In diesem Gebäude befinden sich ein Unterrichtsraum, ausgestattet mit 9 Schulbänken und zwei Esstischen mit Stühle, ein kleines Büro, für alles Organisatorische und einer kleinen Küche, in der das Essen für die Kinder gekocht wird. Fest angestellt sind zwei Lehrer von der Ipembe Primary School, an der Camilla unterrichtet und an die das Projekt angeschlossen ist. Das Essen wird von "dada" (kiswahili "Schwester"), wie sie von den Kindern genannt wird, gekocht. Gegessen wird zweimal, in der zweiten Stunde gibt es Frühstück, entweder "uji" (Porridge) oder "chai" (Tee und Brot), und dann in der vierten Stunde gibt es Mittagessen. Die Kinder bekommen sehr reichhaltiges Essen, da viele von ihnen sehr dünn sind, wenn sie zu uns kommen. Ein behindertes Kind wird hier oft als Strafe Gottes angesehen, wenn man sich die Behinderung nicht anders erklären kann. Gibt es in einer Familie viele Kinder, so steht das behinderte Kind in der Rangfolge ganz unten, da es, so dramatisch das auch klingt, eine größere Belastung ist, als seine gesunden Geschwister. 
Ein "anderes" Kind wirft ein vermeintlich schlechtes Licht auf die Familie, sodass sie lieber versteckt werden, oder man lässt sie sofort ganz verschwinden.
Deswegen ist Mwalimu Mwacha (ein Lehrer) oft mit seinem Motorrad in der Umgebung unterwegs und versucht herauszufinden, wo diese Kinder leben. Häufig stößt er auf Ablehnung und Misstrauen, wenn er sucht und fragt. 
Denn es gibt sie, diese Kinder, man muss sie nur finden.
Was er dort sieht ist zum Teil sehr schockierend.
Caroli (ein Junge mit Trisomie 21) konnte weder laufen, noch sprechen, als er im Alter von ca. 6-7 Jahren gefunden wurde. Er lebt bei seiner sehr betagten Großmutter, die tagsüber viel unterwegs ist und wenig Zeit für ihren Enkel hat. Da sie ihn aber weder mitnehmen, noch unbeaufsichtigt lassen kann, hat sie ihn mit einem Seil an einem Stein festgebunden. Das diente dazu, dass er nicht verloren geht, aber auch, damit er nicht auf die Straße gelangen kann. Das heißt, egal wie das Wetter war, ob es geregnet oder die Sonne vom Himmel gebrannt hat, Caroli saß draußen.
Er und seine Großmutter haben ein sehr inniges Verhältnis zueinander, aber sie wusste sich nicht anders zu helfen. Seit sie ihn jeden Morgen zur Schule bringt, macht Caroli riesige Fortschritte. Er kann laufen und rennen, spielt mit den anderen Kindern Fußball, fegt den Klassenraum und verständigt sich soweit es ihm möglich ist, mit einfachen Gesten und einigen einzelnen Worten. Außerdem unterhält er sich gerne mit uns in einer Fantasiesprache, die nur er versteht, aber das stört ihn nicht weiter.

Camilla mit Caroli und Dicki, im Hintergrund Alexi, Rachek und Rama
Ein Problem, welches er mit den meisten anderen teilt ist, dass er nie die Chance hatte soziales Verhalten zu erlernen. Er hat ein großes Bedürfnis nach Liebe und Aufmerksamkeit. Das äußert er durch recht offensives kuscheln. Auf Grund einiger Koordinationsschwierigkeiten und der Tatsache, dass er seine Kräfte nicht einschätzen kann, sind seine Liebesbeweise manchmal etwas schmerzhaft. Er macht nach, was er sieht, bzw. was er gelernt hat. Zum Beispiel streicheln ist ein Problem, da er zwar durchaus positive Absichten hat, aber seine Kraft falsch einteilt und das dann öfter härter ausfällt als geplant. Aber auch dort erzielen wir Fortschritte.
Er ist in allem recht extrem, so als müsste er die Zeit nachholen, in der er sich nicht frei bewegen konnte oder seine Bedürfnisse nicht ausleben konnte.
Jetzt geht er gerne auf Erkundungstour rund ums Schulgelände. Manchmal kann man gar nicht so schnell gucken, wie er wieder weg ist. Es kommt häufig vor, dass Schüler oder Lehrer zu uns kommen und ihn wieder zurückbringen oder wir selbst suchen gehen und ihn völlig versunken in irgendetwas vorfinden. Weit weg läuft er aber nie und meist kommt er auch von allein wieder.
Caroli ist nur eines der Kinder, und dient hier als Beispiel. Seine Geschichte sagt nichts über die Geschichten der anderen Kinder oder deren Verhalte aus.
Salma, Rachel und Maimuna sind sehr schüchtern und introvertiert und stehen allem Neuen skeptisch, fast ängstlich gegenüber, mal mehr mal weniger stark ausgeprägt. Dicki offenbart immer neue Fähigkeiten, die man ihm so nicht zugetraut hätte.
Alexi ist sehr aufgeschlossen und sucht die Herausforderung in neuen Aufgaben und im Moment im Zahlenraum bis 20. Damit ist er Klassenbester.
Fatuma und Zena
Zena braucht immer einen kleinen Schubser, bis sie die ihr zugedachten Aufgaben auch macht, aber sie liebt es zu malen. Die Bilder müssen dann von uns säuberlich beschriftet werden.
Ihre beste Freundin ist Fatuma, die grundsätzlich immer laut ist, aber ansonsten recht fügsam.
Rama interessiert sich meistens mehr für die Hefte und Aufgaben seiner Nachbarn, als für seine eigenen. Es sei denn es geht um den Fußball, da ist er sofort ganz vorne mit dabei.
Azizi ist unser kleiner Spießer. Bei ihm hat alles nach Plan zu verlaufen. Den kennt allerdings nur er. Er ist taub, äußert seinen Unmut oder seine Freude aber dennoch lautstark.Husseni kann nicht selbstständig laufen und rutscht deswegen auf dem Hosenboden durch die Gegend oder wird getragen. Aber auch er macht gerne Ausflüge über den Schulhof.





hinten: Salma, Alexi,, Fatuma und ich, vorne: Rachel, Zena, Dicki und Rama




Alle Kinder sind auf die ein oder andere Weise geistig gehandicapt. Aber jedes Kind wird seinem momentanen Entwicklungsstand entsprechend gefordert und gefördert, so weit es die vorhandenen Mittel zulassen.
Was aber das wichtigste ist, ist zu sehen, dass die Kinder gerne kommen und alle Fortschritte machen. Es geht hierbei nicht nur darum, dass sie am Ende perfekt lesen, schreiben und rechnen können, sondern darum, sie in die Gesellschaft einzugliedern. Sie sollen die Angst vor anderen Menschen verlieren und ein größtmögliches Maß an Selbstständigkeit erreichen. So ist zum Beispiel ein wichtiger Bestandteil, dass sie abwaschen, sauber machen und weitere kleinere Tätigkeiten erlernen, wie die eigene Wäsche waschen, oder alleine duschen. Mit diesem Projekt soll außerdem erreicht werden, dass ein behindertes Kind keine Schande mehr darstellt, und nicht als Gott-gewollter Unglücksfall gesehen wird.
Rachel draußen beim Ballspiel















 







Dicki
Viele andere Kinder können nicht kommen, weil sie zu weit weg wohnen und die Eltern sie nicht jeden Morgen zur Schule bringen und am Nachmittag wieder abholen können.

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